Energie: ISIS-Offensive erhöht geopolitische Risiken weiter


"Grund zur Zuversicht" - so hatten wir unsere Research-Flagship-Publikation für den Ausblick 2014 überschrieben. Aus Sicht des Verbrauchers galt dies in den ersten Monaten auch für den Ölpreis; der stabile Euro tat sein Übriges. Allerdings hat sich aus geopolitischer Sicht im Jahresverlauf die Lage dramatisch verschlechtert: Zunächst waren Libyen und Iran die Krisenherde Nummer 1, deren Angebotsausfälle von der OPEC und den USA aufgefangen werden konnten.
Libyen ist weit entfernt von einer Stabilisierung, und mit der Ukraine-Krise sowie der ISIS-Offensive im Irak sind neue Themen auf den geopolitischen Radarschirmen der Ölmärkte aufgetaucht. Der Ölmarkt bleibt damit angebotsgetrieben, auch wenn die Nachfrageschätzungen im Jahresverlauf etwas nach oben revidiert wurden. Die erste Reaktion des Ölpreises (rund 3 US-Dollar Preisanstieg) auf den ISIS-Terror blieb vergleichsweise moderat.

ISIS / ISIL: Ölförderland Irak im Fokus
In der vergangenen Woche erzielte die sunnitische Extremistengruppe ISIS (Islamischer Staat in Irak und Syrien; alternativ: ISIL: Islamischer Staat in Irak und der Levante) rasante Fortschritte im Irak. Innerhalb weniger Tage gelangte sie von der syrisch-irakischen Grenze bis vor die Tore von Bagdad. Die zweitgrößte Stadt des Landes, Mossul, ist bereits in ihrer Gewalt. Das Ziel der ISIS ist klar, der Name ist Programm: Einen islamischen Staat im Irak, Syrien und ggf. darüber hinaus zu errichten.
Die Grenzen, die nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs gezogen wurden, sind für die ISIS ohne Relevanz. In Syrien, wo man unter den Rebellen keine Verbündeten mehr hat, kontrollieren die Dschihadisten bereits weite Gebiete im Osten des Landes. Und nun der Vormarsch im Irak, ein Land, das die USA offenbar zu früh sich selbst überlassen haben. Nun stellt sich die Frage, was diese neue politische Situation für die Ölförderung im Irak und damit perspektivisch für den Ölpreis bedeutet.

Ölförderung Irak: Vor allem im Süden
Der Irak fördert derzeit rund 3,45 Mio. Barrel pro Tag. Davon verbraucht das Land 800.000 bpd, 2,67 mbpd gehen in den Export. Der größte Teil der Ölförderanlagen befindet sich im Süden des Landes, die den Exporthafen in Basrah beliefern, wo zuletzt zwischen 2,5 und 2,6 mbpd auf die Weltmärkte gelangten. Die nördliche Exportroute Kirkuk-Ceyhan ist bereits seit Anfang März nach Terroranschlägen außer Betrieb, 250 tbpd Exportkapazitäten sind seitdem ausgefallen. Rund 250.000 bpd werden in der Autonomen Region Kurdistan gefördert - und gegen den Willen Bagdads - seit einigen Wochen über den türkischen Hafen Ceyhan exportiert.
