Energie: ISIS-Offensive erhöht geopolitische Risiken weiter

Der Grund für die bisher moderate Reaktion des Ölpreises auf die ISIS-Terraingewinne liegt vor allem in der beschriebenen geografischen Lage der Förderanlagen. Zum einen liegen sie weit entfernt von der jüngsten Eskalationsfront, zum anderen sind die Ölförderanlagen durch eine 30.000 Mann starke Sondereinheit geschützt. Außerdem ist nicht klar, ob die ISIS überhaupt weitere Gebietsansprüche durchsetzen möchte. Dennoch haben sich u.E. durch die Ereignisse der letzten Tage zwei Dinge verschoben: (1) Das erwartete Wachstum der irakischen Ölproduktion ist nur durch weitere Investments, auch der westlichen Ölindustrie, erreichbar.
Aufgrund der erhöhten Risiken - irakische Ölfelder werden nicht mehr als sicher eingestuft - dürften diese vorerst auf Eis gelegt werden. Das noch im Rahmen des OPEC-Meetings Anfang Juni vom irakischen Ölminister Abdul Kareem Luaibi bestätigte Jahresend-Produktionsziel von 4 mbpd rückt daher in weite Ferne. (2) Zwar besteht eine geringe Chance einer Einigung zwischen der (sunnitischen) ISIS, der Autonomen Region Kurdistan und der (schiitischen) Zentralregierung in Bagdad, dennoch ist dies ein Best-Case-Szenario, das nicht am wahrscheinlichsten sein dürfte.
Unabhängig davon, ob Bagdad in die Hände der ISIS/ISIL fällt oder nicht, dürfte der Konflikt noch längere Zeit anhalten, zumal die ISIS sowohl gut organisiert als auch gut finanziert sein dürfte.

Iran plötzlich Verbündeter?
Wie dynamisch sich derzeit die Fronten in der arabischen Welt verschieben, zeigt die rasche Bereitschaft des iranischen Präsidenten Rohanis, im Kampf gegen den ISIS-Terror die irakische Regierung zu unterstützen und damit mit den USA zu kooperieren. Dies macht zumindest Hoffnung im Atomkonflikt der westlichen Staaten mit dem Iran, wo eine endgültige Einigung noch aussteht.
Ansonsten wird sich die USA nur sehr begrenzt einschalten: Die zuletzt geäußerten Zugeständnisse Obamas klingen mehr als verhalten. Er ist bereit, gezielte militärische Schritte vorzunehmen, der Einsatz von Bodentruppen wird hingegen kategorisch ausgeschlossen. Lediglich 300 "Militärberater" sollen in den Irak entsendet werden.
Fazit: Höhere Risiken, höhere Prämie
Das Risiko eines Produktionsausfalls im Süden Iraks ist gering, und der Irak dürfte weiterhin die heutigen Mengen exportieren können. Ursprünglich geplante Produktionssteigerungen werden jedoch unwahrscheinlich. Zudem besteht das Risiko einer weiteren Destabilisierung in Nahost, was die geopolitische Risikoprämie im Ölpreis strukturell erhöhen dürfte. Wir haben daher unsere Prognosen für die Sorte Brent um 10 US-Dollar nach oben revidiert, per 30.09. erwarten wir nun einen Preis von 115 US-Dollar. Auch die Prognosen für die US-Benchmark WTI und Gasoil haben wir entsprechend angepasst.
© Frank Klumpp, CFA
Commodity Research
Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
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