Rohöl: WTI Future mit "Pull Back" an die neuen Widerstände


WTI Future aus langfristiger Seitwärtsbewegung ausgebrochen
Aus der Perspektive des langfristigen Monatscharts hat der WTI Future Anfang April die seit September 2022 bestehende eingezeichnete Seitwärtsbewegung mit den Widerständen zwischen 90 und 94 und den starken Unterstützungen zwischen 65 und 70 dynamisch nach unten aufgelöst. Dadurch hat sich charttechnisch ein neuer langfristiger Abwärtstrend ausgebildet. Fast immer, wenn es einem Chart gelingt, die extreme Aufnahmeneigung rund um ein solch kritisches Unterstützungsniveau komplett abzubauen, darf mit einer langfristigen Trendwende gerechnet werden. In vielen Fällen werden weitere Verluste folgen.
Eine weitere Regel der technischen Analyse lautet: Je länger eine Seitwärtsbewegung angedauert hat, je länger ein Chart oberhalb einer Unterstützung getradet wurde, desto dynamischer ist sein Abwärtspotential, sobald die Unterstützung gefallen ist. Für die Ableitung eines denkbaren Kursziels nach einem derartigen Ausbruch aus einer Konsolidierung bietet es sich im Normalfall an, den Abstand zwischen dem Tief und dem Hoch der Seitwärtsbewegung von dem Ausbruchsniveau abzuziehen. Speziell auf den WTI Future bezogen darf man demnach langfristige mit mindestens fallenden Kursen in Richtung 50 rechnen.
Im Zuge des o.a. ersten Verkaufssignals sind die Kurse des schwarzen Goldes auf den tiefsten Stand seit März 2021 gefallen. Dieses Bewegungstief wurde am 09. April bei 56,06 erreicht.
"Pull Back" an die alten Unterstützungen
In den letzten Wochen hat sich der WTI Future von der o.a. dynamischen Abwärtsbewegung etwas erholt. Es wurde ein erster Rücksetzer ("Pull Back") in Richtung der alten Unterstützungszone vollzogen. "Pull Backs" haben in der Technischen Analyse eine starke Aussagekraft, da sie als eine Art Bestätigung für Ausbrüche angesehen werden und dadurch sehr oft als Trendbestätigung dienen.
Aus Unterstützung wird Widerstand
Anleger und Investoren haben seit September 2022 zugeschaut, wie Rohöl ein ums andere Mal vom Niveau zwischen 65 und 70 nach oben abdrehte und ein Fest für die Bullen zu werden schien. Immer wieder war die Aufnahmebereitschaft um diese markanten und gut sichtbaren Unterstützungen extrem hoch. Ist diese Aufnahmebereitschaft abgearbeitet und die Unterstützung unterschritten, dann wird ein Verkaufssignal generiert und der Markt fällt dynamisch.
Viele Anleger wurden auf dem falschen Fuß erwischt und werden versuchen bei einem "Pull back" an dem Ausbruchspunkt ihre Bestände loszuwerden oder neue Shortpositionen einzugehen. Genau deshalb wird die ehemalige starke Unterstützung ein ebenso starker Widerstand.
Außenstab auf Monatschart
Im April hat der WTI Future das Hoch des Monats März (71,83) knapp überschritten. Doch eine entsprechende Anschlussbewegung blieb aus. Im Gegenteil, die Bären setzen sich bei 72,10 wieder durch und die Kurse fielen bis auf das aktuelle Bewegungstief bei 56,06. Charttechnisch hat der WTI Future im April somit einen Außenstab (Outside Bar) ausgebildet. Mit dem Bewegungshoch der abgelaufenen Börsenwoche bei 64,36 testet Rohöl erstmals die alten Unterstützungen und neuen Widerstände.
Neuer mittelfristiger Abwärtstrend
Mit dem aktuellen Bewegungstief aus dem April bei 56,06 hat der WTI Future den tiefsten Stand seit März 2021 erreicht. Parallel wurde der analytisch extrem bedeutsame Bereich erhöhter Aufnahmebereitschaft zwischen 70 und 65 aus dem Markt genommen. Dadurch hat sich ein neuer mittelfristiger Abwärtstrend ausgebildet. Der aktuelle Aufwärtsimpuls der letzten Wochen ist lediglich als Erholung im neu entstandenen Abwärtstrend zu werten.

Positiver saisonaler Zeitraum bis Anfang Juli
Aufgrund historischer Erfahrungswerte lassen sich für Aktien, Rohstoffe und Währungen statistische Durchschnittswerte berechnen. Typische geglättete Durchschnittsverläufe zeigen von Mitte März bis Ende Juni einen signifikanten Anstieg im WTI Future. Lediglich der kurze Zwischenzeitraum von Mitte April bis Anfang Mai deutet auf eine nachlassende Aufwärtsdynamik in Form einer Konsolidierung hin, ehe es aus dieser reinen statistischen Zyklenanalyse erfahrungsgemäß zu weiteren Kurszuwächsen kommt. Bis dato differiert die aktuelle Kursbewegung eindeutig der historischen Saisonalität.
Fazit:
Aus der Perspektive des langfristigen Monatscharts hat sich das Chartbild des Rohöl Futures verschlechtert. Der Ausbruch aus der langfristigen Seitwärtsbewegung hat einen neuen Abwärtstrend etabliert. Erst Kurse klar über 70 neutralisieren das negative langfristige Chartbild.
Aus der Sichtweise des Wochencharts befindet sich der WTI Future in einem neuen Abwärtstrend. Die aktuelle Aufwärtsbewegung ist mit dem "Pull Back" an die alten Unterstützungen und neuen Widerstände lediglich als Erholungsbewegung auf die dynamische Abwärtsbewegung von Anfang April zu werten. Bei Kursen unter 61,50 wäre diese Erholungsbewegung beendet. Ein erneutes Abrutschen in Richtung des mehrjährigen Tiefs um 56 ist anzunehmen. Fällt der WTI Future auch darunter ließe sich weiterer langfristiger Abwärtsspielraum bis in den Bereich der o.a. Kurszielprojektion um 50 ableiten.
Bei Kursen über 65 dürfte sich die Erholungsbewegung weiter fortsetzen. Maximal kann diese Aufwärtsbewegung bis etwa 70 führen, ohne den neuen mittelfristigen Abwärtstrend zu gefährden. Kurse über dem neuen Widerstandskorridor zwischen 65 und 70 neutralisieren das negative Chartbild.
Zusammenfassend sind die Risiken auf einen weiteren Kursrutsch größer als eine erneute direkte Trendwende.
© Björn Heidkamp
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