Rohöl: (K)eine Chance für die "Bären"?


Steigende US-Lagerbestände
Bei genauerem Hinsehen ist die Versorgungssituation derzeit nicht so angespannt, wie man es vor dem Hintergrund der exorbitant hohen Preise erwarten könnte. Zwar liegen die amerikanischen Lagerbestände zur Stunde knapp drei Prozent unter dem Stand von Ende Februar 2007. Dessen ungeachtet sind sie in den zurückliegenden acht Wochen kontinuierlich angestiegen und notieren aktuell auf dem höchsten Stand seit November vergangenen Jahres sowie etwa sieben Prozent über ihren fünfjährigen Durchschnitt. Verantwortlich hierfür ist einerseits der recht milde Winter in den Vereinigten Staaten. Darüber hinaus lässt sich mittlerweile bei den US-Bürgern ein Trend hin zu einem geringeren Verbrauch beobachten. Offenbar zeigt das Schwindel erregende Kurs-Niveau jetzt doch langsam aber sicher Wirkung. Wie dem auch sei: Die Lagerbestände können die momentanen Notierungen nicht einmal ansatzweise rechtfertigen.
Globaler Output soll zunehmen
Geht es nach dem amerikanischen Energieministerium werden die Vorräte sogar noch weiter steigen, weil die Produktion zunimmt. Für das laufende Jahr rechnen die Behörden mit einem Plus von 2,7 Millionen Barrel pro Tag. Ende 2009 soll der Output sogar mehr als vier Millionen Barrel täglich über der aktuellen Fördermenge liegen. Kommt es tatsächlich dazu, würde dies eine deutliche Entspannung bedeuten. So richtig daran glauben will jedoch offenbar kaum ein Händler. Und auch wir halten die Vorhersagen für viel zu optimistisch. Immerhin stagnierte die Öl-Produktion in den letzten Jahren im Wesentlichen.
Kurse zum Großteil spekulationsgetrieben
Auch wenn die längerfristigen Aussichten in Bezug auf das "schwarze Gold" absolut "bullisch" sind, lässt sich nicht abstreiten, dass der Markt mittlerweile deutlich überhitzt wird. Insbesondere in den zurückliegenden Wochen sind immer mehr Anleger auf den "rollenden Long-Zug" aufgesprungen und haben die Kurse dadurch weiter gen Norden getrieben. Oder anders ausgedrückt: Die Hausse nährt die Hausse! Dennoch kann man zumindest Zweifel dahingehend anmelden, dass diese Entwicklung noch lange derart ungebremst anhält. Erfahrungsgemäß werden spekulative Elemente über kurz oder lang aus jedem Markt "herausgenommen". Und auch beim Öl dürfte das nicht anders laufen. Von daher sind Rücksetzer jedenfalls nicht gänzlich auszuschließen.
Dollar-Schwäche und Rezessionsangst als "Turbo"
Aufwind erhielten die Kurse zuletzt vor allem durch die Kombination aus einem sehr schwachen US-Dollar und einem massiven inflationären Druck, der insbesondere viele Fonds in die Rohstoff-Märkte im Allgemeinen und in den Rohöl-Markt im Besonderen trieb, um sich gegen die schleichende Geldentwertung abzusichern. Dieses Umfeld dürfte uns wohl auch noch etwas länger erhalten bleiben und die Ölpreise stützen. Nach einer kurzzeitigen Stabilisierung hat der "Greenback" wieder seine gewohnte Richtung abwärts aufgenommen und da die Zinsen in Übersee in nächster Zeit sicherlich eher fallen als steigen werden, um die schwächelnde Wirtschaft zu stützen, können wir keinen Grund erkennen, der für eine Aufwertung der US-Valuta spricht. Im Gegenteil: Damit der amerikanische Staat seine gravierende Verschuldung in den Griff bekommt, wird man nicht umhin kommen, die "Geldpresse" anzuwerfen, wodurch die Inflation weiter voranschreitet. So gesehen ist nicht auszuschließen, dass die "Rallye" am Öl-Markt noch ein bisschen weitergeht.
Moderate Rücksetzer wahrscheinlich
Nichtsdestotrotz sollten Anleger es sich auf dem aktuellen Niveau unter fundamentalen Gesichtspunkten gut überlegen, ob sie jetzt noch Long-Positionen im Erdöl aufbauen wollen. Das Chance/Risiko-Verhältnis ist zur Stunde nämlich alles andere als optimal. Wir halten es für wenig wahrscheinlich, dass der „Schmierstoff der Weltwirtschaft“ ab jetzt dauerhaft über 100 US-Dollar je Fass kostet. Unserer Einschätzung nach sind zeitweilige Korrekturen vorprogrammiert. Allerdings werden diese eher moderat ausfallen. Kurse unter 80 oder sogar 70 US-Dollar können wir uns vorerst nicht wirklich vorstellen. Dafür ist der Nachfrage-Druck gerade aus den boomenden Schwellenländern einfach zu groß. So lange die Menschheit keine gangbaren Alternativen zum Benzin entwickelt hat, wird das "schwarze Gold" auf Dauer gesehen in jedem Fall teurer werden. Daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen.
Charttechnik: Korrekturbewegung bahnt sich an
Auch die technische Ausgangslage stellt sich zur Stunde noch weitgehend "bullisch" dar: Der Aufwärtstrend seit September vergangenen Jahres ist nach wie vor vollständig intakt. Auf Grund der Rücksetzer in den letzten Handelstagen hat der RSI den "Rückwärtsgang" eingelegt. Dennoch notiert der Indikator noch oberhalb von 50 und liefert den "Haussiers" damit Argumente für weitere Käufe. Gleiches gilt für den MACD: Dieser könnte zwar demnächst ein Verkaufssignal generieren. Noch allerdings ist es nicht soweit. Die Abwärtskorrektur hat dazu geführt, dass der April-Future aktuell nur noch im Bereich seines mittleren Bollinger Bandes notiert. Auch von dieser Warte aus droht damit keine echte Gefahr für die Optimisten. Sollte der Down Move aber noch etwas anhalten und in diesem Zusammenhang der Support bei knapp 99 US-Dollar nach unten durchbrochen werden, wäre dies ein Einstiegssignal für kurzfristige Short-Spekulationen. Spätestens im Bereich der sehr starken Unterstützung bei 86 US-Dollar sollte der Markt sich dann aber wieder fangen. Ölpreise von 70 US-Dollar oder gar darunter sehen wir derzeit in diesem Jahr nicht.
© Marc Nitzsche
Chefredakteur Rohstoff-Trader
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter finden sie auf der Website: www.Rohstoff-Trader.de