Das Wiederaufleben der Erdölproduktion in den USA


Das Wiederaufleben der Rohölproduktion in den USA ist eine Realität. Nachdem in 2006 eine neue Förderuntergrenze von 5 Millionen Fass pro Tag erreicht wurde, hat die Inlandsproduktion in 2012 6,6 Millionen Fass pro Tag erzielt. Dieses Wachstum ist seit 2 Jahren das Resultat der Förderung von "Tight-Oil" und Schieferöl, welche die Anwendung von "Fracking" (hydraulisches Aufbrechen von Muttergestein) für die Förderung benötigen. Die Produktionsmenge von "Tight-Oil" und Schieferöl betrug 2 Millionen Fass pro Tag in 2012.
Der Aufschwung der Energieproduktion in den USA kann auch bei anderen Energiequellen beobachtet werden: das starke Wachstum der Schiefergasproduktion hat das produzierte Erdgasvolumen deutlich erhöht und hat angesichts einer rückläufigen Nachfrage zu einem Preisverfall geführt; das Angebot an Kohle ist reichlich und preiswert, die Produktion von Agrokraftstoffen weist ebenfalls ein starkes Wachstum auf, hat jedoch zu signifikanten Preisspannungen beim Handel von Mais geführt.
Die Steigerung der Inlandsenergieproduktion in den USA dürfte bis 2014/2015 anhalten und zu einer sehr starken Senkung von Importen führen. Es ist richtig anzunehmen, dass die Energieproduktion heute und in der unmittelbaren Zukunft ein Wettbewerbsvorteil für die USA darstellt im Vergleich zu anderen geographischen Regionen mit geringerer lokaler Produktion, welche den Großteil ihres Energiebedarf importieren müssen (insbesondere aus dem Nahen Osten). Die Vereinigten Staaten dürften daher von einer Verbesserung ihrer Handelsbilanz profitieren, zumindest im relativen Vergleich mit der Europäischen Union, Japan, aber auch mit China, welches zu einer Aufwertung des US$ führen könnte.
Einige Stimmen ziehen aus diesen Entwicklungen Schlüsse auf die internationale Politik: "Eine im Energiebereich verstärkte USA, weniger abhängig von Erdölimporten, wird sich weniger für den Nahen Osten interessieren".
Diese Behauptung weist auf ein fehlende Verständnis der Preisbildungsmechanismen des Erdölmarktes hin. Rohöl und die daraus raffinierten Produkte sind mit geringem Aufwand und preisgünstig zu transportieren, insbesondere per Tanker über den Seeweg. Dies bedeutet, dass die Preise für Erdöl und Erdölprodukte weltweit die Tendenz haben sich anzugleichen. Die Preisdifferenzen zwischen unterschiedlichen Regionen sind der Ausdruck von Unterschieden bei Qualität, technischen Spezifikationen von raffinierten Produkten, Besteuerung und von lokalen Sachzwängen beim Transport (insbesondere von Engpässen bei Pipelines und in Häfen).
Die aktuelle Situation in den USA bietet eine gute Illustration dieses Phänomens und kann mit Hilfe des Verhaltens der beiden weltweit wichtigsten Preisreferenzen analysiert werden: die Rohölsorten WTI (Texas) und Brent (Nordsee). WTI und Brent werden auf dem Spot-und auf dem Terminmarkt von den Akteuren der Erdölindustrie aber auch von Finanzinvestoren gehandelt.
Das West Texas Intermediate (WTI) ist ein Rohöl aus lokaler, US-amerikanischer Produktion. Das WTI wird mit Auslieferung in einem kleinen Ort in Cushing, Oklahoma, im Zentrum der USA kalkuliert. Historisch ist das WTI die bekannteste nationale Referenz und ist der am Meisten gehandelte Rohstoffterminkontrakt.
Brent ist die Bezeichnung von Rohöl, welches auf Feldern in der Nordsee produziert wird. Der Terminkontrakt Brent, der auch andere in dieser Region produzierten Rohöle berücksichtigt, repräsentiert den Erdölpreis in der Region NWE (North West Europe).
Es ist festzustellen, dass der Einfluss von Brent über Westeuropa hinausgeht und dass Brent heute die wichtigste internationale Preisreferenz für den Handel von Rohöl ist. Man schätzt, dass die Preise von 70% des internationalen Rohölhandels auf der Basis von Brent indiziert sind. So werden zum Beispiel Tankerladungen von Erdöl aus Nigeria mit einer Preisbindung auf der Basis von Brent verkauft.
Historisch gesehen waren die Preise von WTI und Brent auf etwa gleicher Höhe, aber seit 2 Jahren kann man eine starke Dekorrelation beobachten. Aktuell ist der Preis von WTI erheblich unter dem von Brent (ungefähr 20 US$ pro Fass) und zwar aufgrund von Logistikproblemen im Zentrum der USA. Das Produktionswachstum von Tight-Oil und Schieferöl ist stärker als das Wachstum der Transportkapazitäten der Pipelines.
Der aktuelle Preisunterschied zwischen Brent und WTI spiegelt die gestiegenen Kosten für den Transport auf dem Schienen- und Landweg von der Mitte der USA an die Küste, insbesondere an den Golf von Mexico wieder. Gleichzeitig können wir feststellen, dass die Preise des in den Küstenregionen der USA produzierte und auch dort konsumierte Rohöl nach wie vor mit den internationalen Preisen konvergiert. Die gleiche Feststellung kann für die raffinierten Produkte wie Autobenzin und Heizöl gemacht werden.
Dies bedeutet, dass, auch wenn die USA zukünftig weiterhin weniger Erdöl importieren, die Preise von Rohöl und von Erdölprodukten in den USA mit internationalen Preisen konvergieren werden. Diese internationalen Preise werden in der Zukunft jedoch weiterhin maßgeblich von der Produktionsmenge und von den Ereignissen im Nahen Osten beeinflusst werden, wo sich nach wie vor die größten Erdölreserven befinden. Die Preisstrategie von Saudi-Arabien, politische Entwicklungen und die Produktion im Irak sowie die Spannungen um Iran bleiben Schlüsselfaktoren für den Ölpreis.
Eine abgeschwächte Abhängigkeit der USA von Ölimporten aus dem Nahen Osten heißt also nicht, dass die Amerikaner sich weniger für die Entwicklung des Ölpreises interessieren werden und heißt nicht, dass sie sich weniger für das interessieren werden, was im Nahen Osten passiert.
Eine Abwendung vom Nahen Osten, wo Sonderbeziehungen mit bestimmten Regierungen, Militärbasen und bedeutender ökonomischer Einfluss bestehen, scheint nicht auf der Tagesordnung zu stehen. Diese Aussage gilt umso mehr, wenn man diese Analyse aus dem Blickwinkel einer langfristigen Rivalität zwischen den USA und China betrachtet. China ist stärker als die USA vom Erdöl und von Importen aus dem Nahen Osten abhängig, hat aber bisher erheblich geringeren politischen Einfluss in der Region als die USA; ein strategischer Vorteil, den die USA kaum freiwillig abgeben werden.
© Luca Baccarini
Direktor von Energy Funds Advisors, Paris
www.energyfundsadvisors.com