Der Ölpreis als Sargnagel für die Börse?

Das ist die eine Seite. Von Lesern, die dieser Sichtweise anhängen, habe in den letzten Wochen vermehrt Mails erhalten, die mich dezent darauf aufmerksam machen wollten, dass meine Sorge vor dem Ölpreis völlig unberechtigt sei, man sehe es doch an den Charts.
Es gibt aber auch die andere Seite, die sagt: "Wenn der Ölpreis steigt, dann ist das schlecht für die Börsen." Begründet wird diese Theorie jedoch weniger mit Charts, sondern vielmehr mit fundamentalen Hintergründen. Inflation, hohe Energiekosten, Gewinnmargen, die schrumpfen, Verbraucher, die kein Geld mehr für den Konsum haben.
Sobald die Vertreter der einen auf die Vertreter der anderen bei einem Bier treffen, können Sie versichert sein, dass die Argumentationen immer rabulistischer werden und schnell die Ebene der Vernunft verlassen.
Die Wirtschaft, das Öl und die Börse
Dabei ist die Lösung vergleichsweise einfach: Im Prinzip haben beide Recht, nur die Schlussfolgerung der ersten Gruppe geht am eigentlichen Kern vorbei.
Wenn die Wirtschaft am Boden liegt, dann befindet sich meistens auch der Ölpreis am Boden. Schließlich wird in einer Rezession weniger Öl verbraucht als in Boomjahren. Meistens fängt dann die Börse als erstes an zu steigen, weil die Spekulanten mitten in einer Rezession bereits darauf traden, dass alles besser wird (kaufe die Angst /Depression). Dann, meistens recht schnell, folgt der Ölpreis. Denn auch hier wird darauf getradet, dass alles besser wird, also die Wirtschaft bald wieder mehr Öl verbrauchen wird. Die Spekulanten hoffen, dass diese steigende Nachfrage zu weiter steigenden Ölpreisen führen.
Wenn die Masse es begreift
Wenn dann offensichtlich die Wirtschaft anfängt zu brummen, wird der Ölpreis immer deutlicher steigen, denn immer mehr Leute denken, dass eine Spekulation in Öl eine verdammt gute Sache ist. Schließlich gibt es ja auch noch das alte "Ich-schlag-alles-tot"-Argument: "Verknappung der Ressourcen", auf das auch schon seit gut 8 Jahren getradet wird.
Meistens steigen die Börsen, wenn es der Wirtschaft ersichtlich besser geht, ebenfalls noch weiter an. Und so kommt es, dass Börse und Öl gerne auch einträchtig nebeneinander ansteigen.
Wenn der Zenit erreicht ist
Irgendwann, meistens am Zenit der wirtschaftlichen Hochkonjunktur, spekulieren die ersten erfahrenen Trader darauf, dass die Wirtschaft sich wieder verschlechtert. Die Börse steigt nicht mehr weiter, aber der Ölpreis kann durchaus noch etwas weiter laufen. Denn der aktuelle Verbrauch ist noch hoch, die Börse ist immer etwas früh, sie nimmt wirtschaftliche Entwicklungen um ein Jahr vorweg. Aber schnell wird dann auch der Ölpreis folgen, sobald auch hier auf eine schlechtere Wirtschaft getradet wird.
Wir können festhalten, der Ölpreis läuft den Indizes "hinterher".
Doch jetzt kommt das Problem: Wenn der Ölpreis "zu sehr steigt" gibt es einen Punkt, an dem die Kosten die Wirtschaft belasten. Denn keine Frage, obwohl die Wirtschaft bei weitem nicht mehr so abhängig vom Ölpreis ist wie noch in den 70/80er Jahren: Öl ist und bleibt das Blut der westlichen Industriegesellschaften.
Ohne Öl geht nichts - mit Öl geht alles. Die Weltpolitik wird, wenn Sie sich damit einmal abseits der Mainstream-Presse beschäftigen, hauptsächlich von dem Thema Öl beherrscht und das, seitdem der Rohstoff Öl zum Blut der westlichen Welt geworden ist.
Wir haben das schon öfters erlebt: Wenn der Ölpreis zu teuer wird, gerät die Wirtschaft ins Schlingern. Inflation und Rezession ist die Folge. Worüber man sich natürlich trefflich streiten kann, ist, ab wann das der Fall ist.
Sie sehen, es ist keine "entweder - oder" Frage, es ist eine Frage von mehreren Einflüssen, die nicht immer in die gleiche Richtung laufen.