Rohstoff-Welt.de - Die ganze Welt der Rohstoffe

Wann werden die Lager für Destillate je wieder sinken?

15.05.2009  |  Eugen Weinberg

In diesem Wochenbericht untersuchen wir die Faktoren, die den derzeitigen Lagerüberhang verursacht haben. Wir nehmen dabei die finanziellen Anreize in Augenschein, welche zur Bildung zusätzlicher Vorräte geführt haben und identifizieren jene Faktoren, die letztlich eine Verringerung der Lagerbestände bewirken sollten sowie den möglichen Einfluss auf die Destillatepreise. Um dies zu veranschaulichen, konzentrieren wir uns insbesondere auf die Lagervorräte bei den Destillaten, welche in diesem Jahr nicht den für die Jahreszeit typischen Rückgang zeigten. Unsere Analyse verdeutlicht, dass in einer Periode besonders schwacher Nachfrage nach Destillaten die Raffinerieproduktion stabil geblieben ist. Der Produktionsanteil für Destillate hat sich sogar erhöht. Untypische Anreize, wie zum Beispiel schwächere Verarbeitungsmargen für Benzin und eine steilere Contango-Terminkurve, begünstigen die zusätzliche Produktion und Lagerhaltung von Destillaten.

Wir glauben, dass diejenigen Faktoren, die zu den hohen Lagerbeständen an Destillaten geführt haben, auch den Abbau der Vorräte vorantreiben werden. Wenn der Anreiz besteht
die Benzinproduktion auf ein Maximum zu erhöhen, wird dies zu einer geringeren Herstellung von Destillaten führen. Die erwartete Abflachung der Contango-Terminkurve für Destillate wird wiederum den Anreiz zur Lagerhaltung verringern. Die Lagerbestände werden infolgedessen zurückgehen. Dennoch dürften sie zu Beginn des Winters in der nördlichen Hemisphere weiterhin über dem Normalniveau liegen. Dies sollte das Preisanstiegspotential bei den Destillaten im Vergleich zu den anderen Ölprodukten und zu Rohöl begrenzen.

Wir werden nun mit der Analyse der derzeitigen Lagerbestände bei den Destillaten beginnen. Wie die Grafiken 2 und 3 auf der folgenden Seite zeigen, sind die Destillatelagerbestände sowohl in den USA als auch in Rotterdam auf einem relativ hohen Niveau. In beiden Fällen ist in diesem Jahr zudem keine saisonale Verringerung der Lagerbestände sichtbar. Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch bei der Analyse der wöchentlichen Daten zu den Destillatelagerbeständen in Japan und Singapur feststellen.

Open in new window

Nicht nur die primäre Lagerhaltung in Häfen und Raffinerien befindet sich auf Rekordniveau. Unsere Gespräche mit Vertretern des Energiesektors geben Indizien dafür, dass sich auch die Diesellagerbestände auf der Großhandelsebene in Deutschland auf Rekordniveau befinden. Veränderungen der Lagerbestände spiegeln das Verhältnis von Angebot (sowohl Produktion einheimischer Raffinerien als auch Importe) und Nachfrage wider. Deshalb ist es notwendig, die Einflussfaktoren von Angebot und Nachfrage zu kennen, um das Niveau der Lagerbestände zu verstehen.

Open in new window





Die Nachfrage nach Destillaten ist sehr schwach …

In den USA ist die Nachfrage nach Destillaten im historischen Vergleich sehr schwach (Grafik 4). Im Gegensatz zur Nachfrage nach anderen Ölprodukten hat sich der jährliche Rückgang der Destillatenachfrage in den letzten Monaten nicht verlangsamt. Er verringert sich weiterhin mit einer jährlichen Rate von 400 bis 500 Tsd. Barrel pro Tag (Grafik 5). Ein ähnliches Phänomen lässt sich in Europa feststellen. Demnach erwartet die IEA, dass im zweiten Quartal die Destillatenachfrage der europäischen OECD-Länder jährlich um 240 Tsd. Barrel pro Tag zurückgehen wird. Dies entspricht einer Verringerung um 3.5%.

Die schwache Nachfrage ist dabei eher auf das niedrige Niveau der Wirtschaftsaktivität als auf das Niveau der Endverbraucherpreise zurückzuführen. Wie im Statistik-Anhang dieses Berichtes ersichtlich ist, waren die US-Endverbraucherpreise für Diesel letzte Woche 49% niedriger als im Jahr zuvor. Sollten die gegenwärtigen Endverbraucherpreise beibehalten werden, würden sie im Juli dieses Jahres ca. 54% unter dem im letzten Jahr erreichten Höchststand liegen.

Open in new window

Hat die Angebotsseite angesichts der düsteren Aussichten für die US-Nachfrage nach Destillaten entsprechend reagiert? Man sollte erwarten, dass der Lagerüberhang die Destillatepreise ausreichend nach unten drückt und damit auch die Angebotsseite der Marktbilanz beeinflusst, insbesondere die Herstellung und die Importe. Wir werden nun diese zwei Aspekte näher beleuchten.


… doch trotz hoher Lagerbestände produzieren die Raffinerien weiterhin Destillate auf hohem Niveau

Im Vorjahresvergleich hat sich das Produktionsvolumen von Destillaten in den USA in diesem Jahr fast ausschließlich auf demselben oder auf einem höheren Niveau (Grafik 6) bewegt. Das hohe Produktionsvolumen wurde zum einen dadurch hervorgerufen, dass der Produktionsanteil während der ersten drei Monate des Jahres deutlich über der Norm lag (Grafik 7). Trotz eines Lagerüberhangs lag der Produktionsanteil in den letzten Wochen auf dem Niveau des letzten Jahres. Offensichtlich muss ein Anreiz bestehen, bei hohen Lagerbeständen ein Rekordvolumen von Destillaten herzustellen. Ein Grund für die ununterbrochen hohe Destillateproduktion dürfte sein, dass der Preis von Gasöl im Vergleich zu Benzin für längere Zeit höher liegt als in der Vergangenheit (Grafik 11). Dies hat sich jedoch nunmehr geändert.

Open in new window






US-Importe von Destillaten scheinen sich verringert zu haben …

Die Produktion hat sich in diesem Jahr nicht verlangsamt. Im Gegensatz dazu gibt es Anzeichen, dass die US-Importe von Destillaten seit Jahresbeginn auf oder unter dem Vorjahresniveau liegen (Grafik 8). Darüber hinaus hat sich das Importvolumen in den letzten Wochen deutlich verringert, was zu einer Begrenzung des Lageraufbaus beitrug. Wir glauben, dass dies eine Reaktion auf die US-Destillatepreise gewesen ist, welche mit einem Abschlag zu denen in Europa handeln (Grafik 9). Wenn man die Transportkosten und den Zeitwert des Geldes in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einbezieht, ist der Import von Destillaten in die USA kaum profitabel oder unwirtschaftlich.

Open in new window

… aber warum hat sich das Produktionsvolumen von Destillaten nicht verringert?

Die Raffinerien produzieren dann, wenn der Wert des Endprodukts (also des raffinierten Ölproduktes) höher ist als die Kosten der Vorprodukte (Kosten für Rohöl sowie Verarbeitungskosten). Trotz der hohen Lagerbestände sind die Preise für die Destillate im Vergleich zu den Rohölpreisen auf einem Niveau geblieben, das ausreichend war, um eine positive Raffineriemarge zu generieren (Grafik 10). Der Anreiz, Destillate herzustellen, hat sich in den letzten Wochen allerdings deutlich verringert.

Seit Jahresbeginn verharrten die Preise für die Destillate in den USA fast ausschließlich über dem Niveau der Benzinpreise (Grafik 11). Dies liefert die Erklärung dafür, warum der Produktionsanteil für Destillate bei den US-Raffinerien so hoch war. Der übliche Anreiz, auf eine Maximierung der Benzinproduktion umzuschalten, kam bis vor circa vier Wochen nicht zum Tragen.

Open in new window

Wann werden wir mit Veränderungen rechnen können?

Die Lagerbestände von Destillaten werden sich verringern, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt.

• Auf der Angebotsseite hat sich der Anreiz zur Herstellung von Destillaten in den letzten Wochen verringert, da die Verarbeitungsmarge gesunken ist. Darüber hinaus kommt der Anreiz, die Benzinproduktion zu Lasten der Destillateherstellung zu maximieren, nunmehr zunehmend zur Geltung. Außerdem hält sich der Anreiz, Destillate in die USA zu importieren, derzeit aus Wirtschaftlichkeitsgründen in Grenzen. Wir glauben auch, dass das Preisanstiegspotential für Rohöl (aufgrund der OPEC Angebotsbeschränkungen) höher ist als das für die Preise von Ölprodukten (aufgrund einer möglichen Nachfrageerholung). Demnach könnten die Raffineriemargen in den kommenden Monaten unter Druck geraten. In der Folge dürfte es zu Produktionsbeschränkungen und einem niedrigeren Herstellungsvolumen von raffinierten Ölprodukten kommen. Dies wird auch zu niedrigeren Lagerbeständen an raffinierten Ölprodukten führen.






• Auf der Nachfrageseite herrscht weiter große Unsicherheit über die zugrundeliegende Entwicklung des Verbrauchs vor. Während der Sommermonate werden Destillate vornehmlich als Treibstoff für den Straßentransport verwendet, aber auch um Spitzen der Stromnachfrage abzudecken, die durch die Höchstauslastung der Klimaanlagen entstehen. Der Treibstoffverbrauch ist eng an die Wirtschaftsaktivität und an Preiseffekte gekoppelt. Mit ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung dürfte die Hoffnung zunehmen, dass sich der jährliche Rückgang des Dieselverbrauchs in der zweiten Jahreshälfte verlangsamt oder sogar umkehrt. Dies liegt teilweise auch in der besonders schwachen Dieselnachfrage im vorangegangenen Jahr begründet. Darüber hinaus sind die Endverbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr besonders stark gefallen und werden sich in den kommenden Monaten im Vorjahresvergleich noch weiter verringern.

Dies erhöht die Zuversicht, dass sich der Lagerüberhang bei den Destillaten während der Sommermonate abbauen wird. Im Moment sieht es so aus, dass die Lagerbestände an Destillaten zu Beginn der Heizperiode in den USA immer noch über dem Normalniveau liegen werden. Allerdings werden sie, im Gegensatz zu den derzeitigen Abweichungen, deutlich näher am Normalniveau liegen. Wir haben ein Absinken der US-Lagerbestände für Ölprodukte bereits seit Wochen erwartet. Dies muss sich erst noch zeigen. Warum aber soll es überhaupt dazu kommen?

Die Erfahrung lehrt uns, dass der Anreiz zum Lageraufbau teilweise vom Anstieg der Terminkurve abhängig ist. Wenn sich die Terminkurve im Contango befindet, also wenn der zukünftige Preis höher liegt als der gegenwärtige Preis, besteht der Anreiz zum Lageraufbau, um das Öl später gewinnbringend zu verkaufen. Die Struktur der Terminkurve ist in Grafik 12 dargestellt, anhand eines Preisvergleichs zwischen dem nächstfälligen Kontrakt und dem 6-Monats-Kontrakt. Der Contango hat sich verstärkt und damit auch der finanzielle Anreiz, zusätzliche Mengen zu lagern.

Mit einer Verringerung des Contango ist erst dann zu rechnen, wenn die Lagerbestände zu fallen beginnen. Zu diesem Zeitpunkt würde sich dann auch der finanzielle Anreiz zum Lageraufbau verringern. Der Anreiz würde sich dann immer schneller reduzieren, da niedrigere Lagerbestände zu einer Verflachung der Terminkurve führen würden usw. und so fort. Im Gegensatz dazu gibt es auch Meinungen, die besagen, dass die Lagerbestände nur abgebaut werden, nachdem sich der Contango verringert hat. Hier stellt sich die klassische Frage: “Was war zuerst da, die Henne oder das Ei?” Wenn die Bewegung aber erst einmal eingesetzt hat, sollte sich der Trend ab einem bestimmten Punkt beschleunigen. Wir denken, dass sich der Contango zunächst auch aus einem anderen Grund als der Lagerentwicklung reduzieren könnte. Zum Beispiel könnte eine Verflachung der Terminkurve auch dadurch hervorgerufen werden, dass Fonds verstärkt in den ersten sechs Monaten der Terminkurve kaufen.

Die US-Lagerbestände an Destillaten dürften bald zu fallen beginnen, da der Anreiz zur Destillateherstellung zunehmend schwindet. Dies wird der Fall sein, wenn die US-Raffinerien den Anreiz haben, die Benzinherstellung zu Lasten anderer Ölprodukte zu maximieren. Dieser Prozess beginnt normalerweise zwischen Ende April und Anfang Mai und führt im Allgemeinen zu einer Erhöhung des Produktionsanteils für Benzin um 5-8% (Grafik 13). Trotz einer generellen Schwäche der US-Nachfrage nach Ölprodukten sehen wir keinen Grund, warum die Maximierung der Benzinproduktion in diesem Jahr nicht erfolgen sollte. In den letzten zehn Jahren sahen sich die USA großen Schwierigkeiten ausgesetzt, die Benzinnachfrage in den Sommermonaten zu befriedigen. Trotz maximierter Benzinproduktion in den Raffinerien waren die USA auf massive Benzinimporte angewiesen. Der Anreiz zur Maximierung der Benzinproduktion dürfte auch in diesem Jahr bestehen bleiben, das Volumen der benötigten Benzinimporte aber möglicherweise niedriger ausfallen. Darum werden die US-Raffinerien in den kommenden Wochen die Destillateproduktion herunterfahren und hiermit zu niedrigeren Vorräten an Destillaten beitragen.

Open in new window






Wie wirkt sich dies auf die Dieselpreise aus?

Basierend auf unseren Kenntnissen bezüglich der Entwicklungen der weltweiten Destillatelagerbestände fühlen wir uns mit unserer derzeitigen Prognose für die europäischen Dieselpreise wohl. Wir erwarten, dass sich die Preise im vierten Quartal dieses Jahres vom derzeitigen Niveau auf einen Durchschnittswert von 670 USD je Tonne erhöhen werden. Der erwartete Anstieg reflektiert teilweise auch den normalen saisonalen Anstieg der Nachfrage nach Destillaten. Sie reflektiert aber auch unsere optimistische Prognose, dass der Ölpreis zum Jahresende 70 USD je Barrel erreichen wird sowie unsere Überzeugung, dass sich der derzeitige Lagerüberhang bei den Destillaten in den Sommermonaten verringern wird.


Auf einen Blick

Open in new window

Open in new window

Open in new window

Open in new window

© Eugen Weinberg
Senior Commodity Analyst

Quelle: ´´Rohstoffe kompakt´´, Commerzbank AG





Diese Ausarbeitung dient ausschließlich Informationszwecken und stellt weder eine individuelle Anlageempfehlung noch ein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder sonstigen Finanzinstrumenten dar. Sie soll lediglich eine selbständige Anlageentscheidung des Kunden erleichtern und ersetzt nicht eine anleger- und anlagegerechte Beratung. Die in der Ausarbeitung enthaltenen Informationen wurden sorgfältig zusammengestellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Einschätzungen und Bewertungen reflektieren die Meinung des Verfassers im Zeitpunkt der Erstellung der Ausarbeitung und können sich ohne vorherige Ankündigung ändern.